Entwicklung und Test der Apparaturen für das RLF-Projekt


Bei der Diskussion des wissenschaftlichen Programms des Projekts RLF befanden es beide Seiten für zielführend, mit Untersuchungen auf der Raumstation MIR im Rahmen dieses Projekts unter der Verwendung der Geräte zu beginnen, die nach Abschluß des Projekts AUSTROMIR in der Raumstation verblieben waren (MONIMIR, MOTOMIR, OPTOVERT, KYMO, PROTEINOMETER, DATAMIR).

Es wurde ein neues Fixierungssystem für das Gerät MOTOMIR (INTERFACE 3) für das Experiment MYO-MOTOSCAN, sowie ein modernisiertes PROTEINOMETER für das Experiment BODYFLUIDS auf die Raumstation geliefert. Gleichzeitig wurde mit den Modernisierungsarbeiten für die Apparaturen MONIMIR, KYMO und OPTOVERT sowie mit der Schaffung eines speziellen Tubus für das Experiment COGIMIR begonnen. Daraus entstanden die Sets MONIMIR-M und COGIMIR-2 sowie KYMO-2.

Bei der Durchführung der Arbeiten gingen beide Seiten nach grundlegenden organisatorisch-technischen Unterlagen vor, welche gemäß den Anforderungen der Vertreter beider Seiten in den Pflichtenheften vereinbart worden waren.

Alle von der österreichischen Seite erzeugten Gerätemodelle (Qualifikations-, Trainings- und Flugmodelle) durchliefen zwei Phasen von Übergabe- Übernahmetests gemäß vereinbartem Programm. Die letztendliche Flugtauglichkeit wurde noch durch die Qualifikationstests bestätigt, die gemäß vereinbartem Programm durchgeführt wurden.

Alle Einzelheiten der Geräte, welche auf der Raumstation MIR eingesetzt wurden, wurden mit den russischen Partnern abgestimmt und in Form von technischen Spezifikationen in den Pflichtenheften verbindlich vereinbart. Im Detail wurden dabei folgende Punkte vereinbart: mechanische Konstruktion der Geräte und deren Verpackung, die elektrische und die elektromagnetische Kompatibilität, die elektrischen Bauteile, die mechanische Widerstandsfähigkeit gegen mechanische Einflüsse während des Transports sowie klimatische Faktoren, ionisierende Strahlung und Betriebssicherheit im Einsatz.

Im Rahmen der Vorbereitung und Durchführung des Projekts RLF wurde im Zusammenhang mit der Hardware für die gemeinsamen Experimente ein beträchtlicher Umfang an Arbeit geleistet. Aus den wichtigsten Arbeiten wären die folgenden Arbeiten hervorzuheben:

  • Modernisierung und Weiterentwicklung der Geräte, die von der österreichischen Seite für das Projekt AUSTROMIR entworfen worden waren.
  • Modernisierung der Software für DATAMIR und KYMO.
  • Lieferung von Verbrauchsmaterialien an das Kosmonautenausbildungszentrum Ju. Gagarin, die für das Training und die Preflight- und Postflightuntersuchungen der einzelnen Hauptmannschaften notwendig waren.
  • Technische Wartung der Trainingsmodelle der Geräte, welche bei der Durchführung der Arbeiten in der ZPK verwendet werden, einschließlich der Durchführung von Reparatur- und Wiederherstellungsarbeiten.
  • Umfangreiche Arbeiten bezüglich Modernisierung der bei IMBP befindlichen Datenauswertungssysteme und des Datenkopiersystems, u.a. die Erweiterung des operativen Speichers dieser Systeme.
  • Kopieren von Daten, die bei der Durchführung der Flugexperimente sowie bei den Pre- und Postflightuntersuchungen auf Streamerbändern des Systems DATAMIR aufgezeichnet wurden.

Die Abnahme-, Qualifikations- und Übergabeabläufe der Geräte wurden nach folgenden Prinzipien durchgeführt:

  • Test der Einzelkomponenten, Module und der Instrumentierung bei den Herstellern (Herstellertests – HT),
  • Abnahme der einzelnen Apparaturen vom Hersteller mittels spezieller Testabläufe und Übernahme durch das österreichische Projektmanagement,
  • Qualifizierung (QT’s) jeder einzelnen Apparatur (TM) im technischen Gesamtablauf,
  • Übergabe- und Übernahmetests (ÜÜT-1 in Österreich und ÜÜT-2 in Moskau) der einzelnen Gerätemodelle an die russischen Partner,
  • Integrationstests und Test der elektrischen Verträglichkeit im 1:1 Bodenmodell der Raumstation MIR (Moskauer Gebiet) und
  • Endkontrolle in Baikonur.
Übergabe-/Übernahmetests (ÜÜT)

Die Übergabe-/Übernahme der einzelnen Gerätemodelle wurde in zwei Schritten ausgeführt. Der erste Schritt war der Übergabe- / Übernahmetest in Österreich (ÜÜT-1) in Anwesenheit der Gerätehersteller, der Experimentverantwortlichen, des Projektmanagements und der russischen Experten. Nach den ÜÜT-1 eines Modells übernahm das Projektmanagement die weitere Verantwortung für das Gerät. Der zweite Schritt der Übergabe-/Übernahmetests (ÜÜT-2) wurde nach dem Transport der Einheiten nach Russland in Moskau durchgeführt. In Anwesenheit des Projektmanagements, der russischen Experten und der Gerätehersteller oder Experimentverantworlichen wurde die Übergabe der Geräteeinheiten an die russischen Partner durch das Unterzeichnen der entsprechende Protokolle und somit die Tauglichkeit der Einheiten für ihren jeweiligen Zweck (Kosmonautentraining, Integrationstests, Komplextests, Gebrauch auf der Raumstation MIR, usw.) bestätigt. Die Übergabe- / Übernahmetests und deren detailierte Durchführung (für ÜÜT-1 bzw. ÜÜT-2) waren in speziellen Übergabe- / Übernahmetestprogrammen festgelegt worden, welche abgestimmt auf jedes einzelne Experimentgerät erstellt wurden. Die Programme beinhalteten im wesentlichen folgende Punkte:

  • Überprüfung auf Vollständigkeit,
  • Überprüfung der technischen Dokumentation auf Vollständigkeit, Form und Inhalt,
  • Nachmessung und Überprüfung der Maße der Geräte und Module wie in den einzelnen Massplänen angegeben,
  • Visuelle Kontrolle der Kennzeichnung der Geräte,
  • Kontrolle der elektrischen Bauteile bezüglich der allgemeinen technischen Daten,
  • Messung des Erdungswiderstandes zwischen den verschiedenen Spannungsversorgungseingängen und dem Gehäuse,
  • Überprüfung der Isolierung zwischen den Spannungsversorgungseingängen und dem Gehäuse durch Anlegen einer Spannung von 100 V über einen Zeitraum von 1 Minute wobei der Erdungswiderstand regelmäßig gemessen wurde,
  • Messung des Einschaltstromes bei einer Versorgungsspannung von 23V, 27V und 34V,
  • Messung der Stromaufnahme bei Normalbetrieb und einer Versorgungsspannung von 23V, 27V und 34V,
  • Funktionskontrolle bei einer Versorgungsspannung von 23V, 27V und 34V,
  • Kontrolle der Verpackung,
  • Kontrolle auf medizinischen Eignung der Geräte für die medizinischen Experimente durch Erprobung mit einer Testperson in Anwesenheit der zuständigen Experimentatoren
Qualifikationstests (QT)

Die Weltraumtauglichkeit der einzelnen Apparaturen wurde anhand einer besonderen, s.g. technologischen Einheit (TM) getestet, welche absolut identisch hinsichtlich des Aufbaus und der Funktion mit der letztendlich im Flug verwendeten Einheit (FM) sein musste. Durch diese Testphilosophie sollte vorzeitige Fehler der Einheit entdeckt und während des Fluges vermieden werden. Zur selben Zeit war es bei Auftreten von Fehlern notwendig herauszufinden, ob die Fehler entweder auf technische Mängel oder Entwicklungsfehler zurückzuführen seien. Alle Testläufe waren in einem von beiden Seiten abgestimmten Qualifikationstestprogramm aufgelistet worden. Die Qualifikationstests (QT’s) wurden unter Verantwortung des österr. Projektmanagements in der Bundesversuchs- und Forschungsanstalt Arsenal (BVFA) in Wien und beim Institut für Angewandte Systemtechnik der Joanneum Research Forschungsgesellschaft mbH in Graz durchgeführt. Wegen dem straffen Zeitplan mussten die verschiedenen Tests vom Projektmanagement gleichzeitig organisiert und durchgeführt werden, was auch einen hohen logistischen Aufwand erforderte.

Klima- und Vakuum-Tests

Um die extremen Temperaturschwankungen während des Transportes von Graz über Moskau nach Baikonur zu simulieren wurden die Einheiten in ihren Transportverpackungen einer Temperaturbelastung von +50°C bis -50°C ausgesetzt. Die Geräte wurden abhängig von ihrer Bruttomasse unterschiedlich lange diesen Temperaturbedingungen ausgesetzt. Die Einheiten wurden, nachdem sie aus der Klimakammer entnommen worden waren, normalen Temperaturbedingungen ausgesetzt und nach einiger Zeit nochmals getestet um ihre korrekte Funktionsweise zu überprüfen.

Für die Simulation der klimatischen Bedingungen an Bord der Raumstation MIR wurden die Geräte verschiedenen Temperaturen, Luftfeuchtigkeit, Druck und atmosphärischen Bedingungen ausgesetzt. Abhängig von der Masse wurden die Geräte unterschiedlichen Zeiträumen Temperaturen zwischen 0°C und +40°C ausgesetzt, und ihre korrekte Funktion während und nach den Temperaturextremen überprüft. Funktionstests bei einer relativen Luftfeuchtigkeit von 95% und einer Temperatur von +20°C wurden über einen Zeitraum von 3 Tagen durchgeführt, in dessen Ablauf die Geräte nach einem definierten Zeitplan immer wieder Veränderungen der Luftfeuchtigkeit und Temperatur ausgesetzt wurden. Alle technischen Parameter wurden während der Tests laufend überprüft.

Mechanische Tests

Die Widerstandsfähigkeit der Geräte gegen mechanische Einflüsse während des Transportes wurde durch halbsinusförmige Erschütterungen mit einer Beschleunigung von 9 g und einer Dauer von 5 – 10 ms getestet. Die Geräte in ihrer Transportverpackung wurden auf einem Vibrationsteststand aufgebaut. Die Einheit wurde mit 2500 dieser Stösse mit einer Frequenz von 1 Hz in der vertikalen, 1750 in der Längsachse und 750 in seitlicher Richtung bewegt. Dann wurden sie vom Vibrationsteststand abgenommen und auf eventuelle mechanische und Funktionsmängel überprüft.

Die mechanischen Belastungsbedingungen während des Fluges wurden in 3 Phasen unterteilt: Belastung während dem Start und dem Andocken (Phase A), während dem Einsatz der Geräte auf der Raumstation (Phase B) und die Belastung während der Landung (Phase C). Alle Belastungstests wurden dreidimensional durchgeführt. Nach jedem Test wurden die Mechanik und Funktionsfähigkeit der Geräte kontrolliert.

Elektrische Tests

Die wissenschaftlichen Geräte wurden während dem Flug mit dem elektrischen System der Raumstation MIR verbunden. Folglich wurde die Höhe der tolerierbaren Störspannung, die von den Geräten produziert wurde einerseits und die Robustheit der Geräte gegen Empfangsstörungen andererseits von Seite der Russen vorgegeben.

Um standardisierte Messungen zu ermöglichen, basierte das Ausgleichsnetzwerk des Energieversorgungsystems an Bord auf widerstands-, induktive- und kapazitive Parameter, und jedes Gerät musste so entwickelt werden, dass es an das 27 Volt Versorgungsnetz der Station angeschlossen werden konnte. Die frequenzselektiven Tests wurden in einer abgeschirmten Kammer durchgeführt. Um die Robustheit der Geräte gegen Beeinträchtigungen zu ermitteln, wurde ein spezieller Testgenerator entwickelt. Dieser Testgenerator konnte die Gleichspannung mit Interferenzspannung mit variabler Frequenz und Amplitude, Impulsen mit variabler Amplitude, Weite und Anstieg und Spannungsschritten von variabler Amplitude und Frequenz überlagern. Um Schäden an den Geräten durch Überspannung zu verhindern, wurde zuerst ein Test mit der jeweiligen Nennspannung der Geräte durchgeführt. Danach wurde der normale Betriebsablauf der Geräte überprüft. Um den umfassenden Testablauf zu beschleunigen und die Genauigkeit der Spannungsanpassung zu verbessern wurde ein computerunterstütztes Test-System entwickelt.

Weitere Qualifikationstests

Eine hohe Lärmbelastung stellt ein zusätzliches Gesundheitsrisiko dar. Um die Arbeit auf der Raumstation MIR erträglich zu machen, war das Limit für die Lärmbelastung der Geräte bei einem Meter Abstand auf 60dB festgelegt.

Um die Verläßlichkeit der Geräte für eine Einsatzdauer von 300 Stunden zu garantieren, wurde die Lebensdauer der Geräte mit mindestens 2 Jahre innerhalb der festgelegten Lagerfrist angegeben. Die Reserve der Geräte mußte noch einmal mindestens 300 Stunden betragen. Und für die Lagerfrist der Ausrüstung wurden mindestens 3 Jahre vorgegeben.

Da die Apparatur KYMO-2 eine lokale Rechen- und Messdatenerfassung enthält mussten hier zusätzliche EMV-Tests am EMV-Prüfzentrum Seibersdorf durchgeführt werden. Weiters musste die Kommunikation und der Datenaustausch mit der Apparatur DATAMIR getestet werden.

Des weiteren mussten alle Geräte, die in den medizinischen Versuchen eingesetzt wurden, weiteren Testreihen hinsichtlich ihrer medizinischen Verträglichkeit unterzogen werden. Eine Versuchsperson musste das ganze Experiment unter der Aufsicht eines Österreichischen und eines Russischen Mediziners und Technikers durchführen.

Zusammenfassung

Trotz des enormen Zeitdrucks für die Fertigstellung der Hardware und den teilweisen Verzögerungen bei Entwicklung und Bau der neuen Apparaturen sowie den Gerätetests wurden die Geräte, bis auf das modifizierte Gerät KYMO-2 für die Experimente MIKROVIB, PULSTRANS, SCHLAF, und NACHT, planmäßig qualifiziert, nach Russland geliefert und rechtzeitig vor Beginn der Phase RLF-2 zur Raumstation MIR gebracht, so dass gleich zu Beginn der Phase Experimente mit der neuen Methodik durchgeführt werden konnten. Aufgrund unvorhergesehener Komplikationen in der Entwicklung von KYMO-2 musste der Einsatz dieses Gerätes auf die Phase RLF-3 verschoben werden. Alle Apparaturen arbeiteten während der gesamten Mission fehlerfrei. Die Meisten verblieben auch danach an Bord und einige von ihnen blieben sogar bis zum kontrollierten Wiedereintritt der Raumstation MIR 2001 an Bord von MIR in Verwendung.